Im letzten Blog wurde Glycin allgemein und umfassend behandelt. In diesem Blog geht es explizit um die Rolle von Glycin als inhibitorischer Neurotransmitter sowie um die Frage, inwiefern die Schlafqualität von Glycin profitiert.
Glycin gehört mit GABA (und allgemein auch Serotonin) zu den inhibitorischen Neurotransmittern. Nach Bindung an seinen Rezeptor vermittelt Glycin den Einstrom von Chlorid-Ionen in Neuronen und bewirkt so eine Hyperpolarisation (exzitatorische, anregende Neurotransmitter vermitteln stattdessen eine Depolarisation über den Einstrom positiv geladener Ionen wie Calcium).
Für eine normale physiologische Funktion des Nervensystems ist ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen exzitatorischen und inhibitorischen Neurotransmittern elementar wichtig (E/I-Homöostase). Zu viel exzitatorische Signale führen zu einer sog. Exzitotoxizität während es bei zu starker Inhibition zu einer ZNS-Depression kommen kann (bspw. durch starke Beruhigungsmittel). Störungen dieses Gleichgewichts sind zudem mit zahlreichen Pathologien assoziiert (Epilepsie, neurodegenerative Erkrankungen, AD(H)S, …) [Sohal et al., 2019]
Im Rahmen dieser Gleichgewichtsregulation stellt GABA den wichtigsten inhibitorischen Neurotransmitter im ZNS dar, während Glycin der primäre inhibitorische Neurotransmitter im Rückenmark (und Hirnstamm) ist. Glycin vermittelt dort die sog. phasische Hemmung und ist damit hochrelevant bei der Motorikkontrolle, Reizverarbeitung, sensorischen Filterung, bestimmten Reflexen sowie der Schmerzübertragung [Holeček et al., 2025; Schmidt et al., 2016].
Im Gegensatz zu GABA ist Glycin aber kein rein inhibitorischer Neurotransmitter, sondern stellt neben D-Serin einen wichtigen Co-Agonisten für NMDA-Rezeptoren (Glutamat-Rezeptoren) dar. Zudem scheint es bestimmte Subtypen von Glutamat-Rezeptoren zu geben, die Glycin als alleiniger Agonist aktivieren kann. Man bezeichnet diesen Subtyp daher auch als exzitatorischen Glycin Rezeptor. Die Wirkung von Glycin ist daher nicht immer inhibitorisch, sondern hängt stark vom Kontext und der jeweiligen Hirnregion ab (je nach spezifischer Rezeptor-Expression) [Laube, 2008; Schmidt et al., 2016]. Die genaue Bedeutung von Glycin im Nervensystem ist daher noch nicht vollständig verstanden und deutlich vielschichtiger als lange angenommen.
Glycin und die glycinhaltige Magnesiumverbindung Mg-Bisglycinat sind beliebte Nahrungsergänzungen zum Verbessern der Schlafqualität – aber was steckt dahinter?
Als inhibitorischer Neurotransmitter trägt Glycin auf grundlegend zu schlafphysiologischen Prozessen bei. So wird bspw. die Muskelatonie (Erschlaffung) während der REM-Schlafphase über die inhibitorischen Effekte von Glycin vermittelt. Auf dieser Basis wurden 2006 & 2007 zwei randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) veröffentlicht, die den direkten Einfluss einer Glycingabe auf die Schlafqualität untersucht haben [Inagawa et al., 2006; Yamadera et al., 2007]. Eine Einnahme von 3 g Glycin eine Stunde vor dem Schlafen gehen führte in den beiden Studien zu einer verbesserten subjektiven (und objektiven) Schlafqualität, einer verkürzten Einschlafzeit sowie erhöhter geistiger Leistungsfähigkeit am Folgetag. Ergänzend dazu zeigte auch eine Studie aus 2012, die die gleiche Dosierung (3 g) bei Probanden mit partiellem Schlafentzug (75% der üblichen Schlafdauer) untersuchte, die positiven Effekte auf die Tagesmüdigkeit am Folgetag sowie ein verringertes Erschöpfungsgefühl [Bannai et al., 2012].
Der postulierte Mechanismus hinter dem schlaffördernden Effekt von Glycin ist eine Absenkung der Körperkerntemperatur, ein Prozess, der in der Einschlafphase ohnehin physiologisch ist. Unerwarteterweise wird dieser Mechanismus nicht über die Glycin-Rezeptoren vermittelt, sondern über die Co-agonistische Funktion von Glycin an NMDA-Rezeptoren [Kawai et al., 2014].
Eine Glycin-vermittelte Hemmung im peripheren Nervensystem steht in Zusammenhang mit den physiologischen Prozessen der Miktion (d.h. der Blasenentleerung). Da in Tierversuchen bereits ein hemmender Effekt auf Miktionsreflexe beobachtet wurde, wurde in zwei Pilotstudien 2021 überprüft, ob eine Glycingabe auch bei Menschen mit „Speicherbeschwerden“ Potential hat [Sugaya et al., 2021]. Eine zusätzliche Glycinaufnahme (3 g) innerhalb dieser Pilotstudien führte zu einer Verbesserung bei den Patienten in Bezug auf den nächtlichen Harndrang, Dranginkontinenz sowie zu geringeren Schmerzen in der Blase. Zusätzlich verbesserten sich bei den Probanden die subjektive Befindlichkeit und Schlafqualität. Die Ergebnisse klingen zwar vielversprechend müssen jedoch aufgrund des Pilotcharakters der Studien als vorläufig bewertet werden. Im Moment fehlen Studien mit größeren Probandengruppen sowie Vergleiche zu Pharmakotherapie.
In Anbetracht der oben postulierten Effekte von Glycin auf die Schlafqualität könnte sich Glycin daher besonders für Personen anbieten, die unter einer Kombination von Schlafproblemen und Blasenschwäche leiden.
Schmidt RW, Thompson ML. Glycinergic signaling in the human nervous system: An overview of therapeutic drug targets and clinical effects. Ment Health Clin. 2016 Nov 3;6(6):266-276. doi: 10.9740/mhc.2016.11.266. PMID: 29955481; PMCID: PMC6007534.
Holeček M. Glycine as a conditionally essential amino acid and its relationship to l-serine. Metabolism. 2025 Sep;170:156330. doi: 10.1016/j.metabol.2025.156330. Epub 2025 Jun 15. PMID: 40527450.
Sohal VS, Rubenstein JLR. Excitation-inhibition balance as a framework for investigating mechanisms in neuropsychiatric disorders. Mol Psychiatry. 2019 Sep;24(9):1248-1257. doi: 10.1038/s41380-019-0426-0. Epub 2019 May 14. PMID: 31089192; PMCID: PMC6742424.
Laube B. Die duale Rolle des Neurotransmitters Glyzin im zentralen Nervensystem. Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Forschungsbericht 2008. https://www.mpg.de/312638/forschungsSchwerpunkt1
Inagawa K, Hiraoka T, Kohda T, Yamadera W, Takahashi M. Subjective effects of glycine ingestion before bedtime on sleep quality. Sleep Biol Rhythms. 2006;4(1):75–7. doi: 10.1111/j.1479-8425.2006.00193.x.
Yamadera W, Inagawa K, Chiba S, Bannai M, Takahashi M, Nakayama K. Glycine ingestion improves subjective sleep quality in human volunteers, correlating with polysomnographic changes. Sleep Biol Rhythms. 2007;5(2):126–31. doi: 10.1111/j.1479-8425.2007.00262.x.
Bannai M, Kawai N, Ono K, Nakahara K, Murakami N. The effects of glycine on subjective daytime performance in partially sleep-restricted healthy volunteers. Front Neurol. 2012 Apr 18;3:61. doi: 10.3389/fneur.2012.00061. PMID: 22529837; PMCID: PMC3328957.
Kawai N, Sakai N, Okuro M, Karakawa S, Tsuneyoshi Y, Kawasaki N, Takeda T, Bannai M, Nishino S. The sleep-promoting and hypothermic effects of glycine are mediated by NMDA receptors in the suprachiasmatic nucleus. Neuropsychopharmacology. 2015 May;40(6):1405–16. doi: 10.1038/npp.2014.326. Epub 2014 Dec 23. PMID: 25533534; PMCID: PMC4397399.
Sugaya K, Oh-Oka H, Yamada T, Miyata M, Ashitomi K, Kadekawa K, Nishijima S. Effects of additional glycine in outpatients being treated for urine storage disorders. Open J Urol. 2021;11:381–92. doi: 10.4236/oju.2021.1111037.
Sugaya K, Oh-Oka H, Yamada T, Miyata M, Ashitomi K, Kadekawa K, Nishijima S. Dietary glycine improves urine storage symptoms in urology outpatients. J Complement Integr Med. 2021 Apr 1;18(3):617–620. doi: 10.1002/nau.24029. PMID: 33793143.
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