Neue Harvard-Studie: Lithium und Alzheimer im Blick
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Mikroskopische Darstellung von Gehirnzellen mit Amyloid-Plaques – Studie zu Lithium und Alzheimer an der Harvard Universität

Lithium für die Alzheimer Prävention? – Epidemiologie, Mechanismen und neue Erkenntnisse aus Harvard

Lithium ist ein (offiziell) nicht essenzielles Spurenelement, um dessen biologische Bedeutung es wissenschaftlich bis heute viel Diskurs gibt. In Hochdosen (600-1200mg/Tag) ist sein Einsatz bei psychischen Störungen wie Depressionen und bipolaren Störungen anerkannt und weit verbreitet. Die gesundheitliche Relevanz von Lithium in ernährungsphysiologisch relevanten Dosierungen (bspw. durch lithiumhaltiges Trinkwasser (1-10mg/Tag)) oder gar die mögliche Essentialität von Lithium hingegen sind stark diskutiert [Hamstra et al., 2023].

Epidemiologie

In mehreren epidemiologischen Studien wurden interessante Korrelationen zwischen dem Lithiumgehalt in Trinkwasser und der Prävalenz zahlreicher medizinischer Indikationen beobachtet, die eine gesundheitliche Relevanz, sowie eine mögliche Einstufung als essentielles Spurenelement nahelegen.

So ist bekannt, dass Regionen mit höherem Lithiumgehalt im Trinkwasser niedrigere Alzheimer-Sterblichkeitsraten, eine verringerte Krebsinzidenz sowie eine insgesamt reduzierte Gesamtsterblichkeit („all-cause mortality“) aufweisen. Auch über Alzheimer hinaus ließen sich Zusammenhänge erkennen. So korreliert ein höherer Lithiumspiegel im Wasser auch mit einer niedrigeren Inzidenz weiterer psychischer Erkrankungen sowie niedrigeren Suizidraten [Luo et al., 2025; Memon et al., 2020; Kigimiya et al., 2020; Kessing et al., 2017; Chen et al., 2022].

Auffällig dabei ist die wiederkehrende Bedeutung von Lithium für Indikationen der Psyche oder des Nervensystems. Lithium scheint also selbst in niedriger Dosierung neuroprotektive Effekte aufzuweisen, womit die Frage in den Fokus gerückt ist, ob man dieses präventivmedizinische Potential von „low-dose“-Lithium zur Prävention neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer nutzen kann. Angesichts der hohen Prävalenz von Demenz und der enormen Belastung für die Gesundheitssysteme weltweit, ist diese Frage hochrelevant.

Neue Harvard-Studie zu Lithium und Alzheimer

Eine aktuelle Harvard-Studie von Aron et al. (2025) zu Lithium und Alzheimer bekommt gerade enorme Aufmerksamkeit. Sie stellt die bislang umfangreichste Arbeit zum Zusammenhang zwischen Alzheimer-Pathogenese und der Bedeutung von Lithium dar. Sie führt Daten aus Humanuntersuchungen, Tiermodellen und molekularbiologischen Analysen (Transkriptom-, Proteom, und Signalweg-Analysen) zusammen. Die Studie könnte die Erklärung für die epidemiologischen Beobachtungen der Vergangenheit liefern.

Die zentralen Erkenntnisse der Studie?

Ein niedriger Gehalt von endogenem Lithium im Gehirn hat einen deutlich signifikanteren Zusammenhang mit der Alzheimer-Pathogenese als bisher angenommen. Lithium könnte ein zentrales Element in der Alzheimer Prävention darstellen und das bereits in niedriger Dosierung.

Die Studie im Detail

Im Rahmen der aktuellen Harvard-Studie der Alzheimer-Forschungsgruppe um Prof. Bruce Yanker (“Lithium deficiency and the onset of Alzheimer’s disease”) wurde eine deutliche signifikantere Beziehung zwischen Lithiumspiegeln und dem Fortschreiten der Alzheimer Erkrankung aufgezeigt als bisher vermutet [Aron et al., 2025].

Post-Mortem-Analysen

Die Arbeitsgruppe verglich Gewebeproben verstorbener Alzheimer-Patienten mit Proben verstorbener Kontrollindividuen ohne Alzheimer. Dabei wurde der Gehalt von 27 Metallen in bestimmten Hirnarealen (PFC und Kleinhirn) mittels ICP-MS analysiert. Von allen untersuchten Metallen war ausschließlich Lithium bei Personen mit „mild cognitive impairment“ (MCI) und Alzheimer signifikant reduziert. Im Falle der Alzheimer Patienten wurde zudem festgestellt, dass die für die Alzheimer-Pathogenese relevanten Amyloid-Plaques Lithium binden und anreichern können. Diese sog. Sequestrierung führt dazu, dass der zelluläre Lithium-Spiegel bei Alzheimer-Patienten sinkt.

Tiermodelle:

Induzierte Lithium-Defizienz

In Alzheimer-Maus-Modellen (3xTg AD & J20 AD) sowie Wildtyp-Mäusen wurde über eine spezielle Diät ein Lithiumdefizit herbeigeführt. Durch die Lithium-arme Diät konnte die Lithium-Konzentration im Serum der Versuchstiere um bis zu 89% und die kortikalen Lithium-Konzentrationen um bis zu 52% reduziert werden.

In den Alzheimer-Modellen führte die Lithium-arme Diät zu einer deutlich beschleunigten Ablagerung von Amyloid-β-Spezies sowie verschiedener Phospho-Tau Isoformen, einen deutlich erhöhten Verlust von Synapsen, Axonen und Myelierung sowie einer erhöhten Aktivierung von Mikroglia (Immunzellen) mit entsprechendem pro-inflammatorischem Phänotyp. Eine entsprechend erwarteter kognitiver Abbau ging mit diesen Veränderungen einher.

Durch den Lithium-Mangel zeigten jedoch auch Wildtyp-Mäuse ein beschleunigtes Auftreten pathogener Amyloid-Spezies wie Aβ40 und Aβ42, eine erhöhte Mikroglia-Aktivierung sowie deutliche kognitive Defizite.

Lithium-Interventionen mit verschiedenen Lithium-Salzen (low-dose)

Da sich natürlich die Frage stellt, ob die Alzheimer-Progression in diesen Modellen durch eine Lithiumgabe verlangsamt werden kann, wurde die Ergänzung von niedrig dosierten („low-dose“) Lithium (in Form von Lithiumorotat (LiO) und Lithiumcarbonat (LiC)) diesbezüglich untersucht. Die Dosis wurde dabei so gewählt, dass man normale physiologische Serum-Lithium-Konzentrationen erreichte.

Die Lithium-Supplementation in den Alzheimer-Modell-Versuchstieren unterdrückte nahezu vollständig die Akkumulation von pathogenen Aβ-Spezies sowie Phospho-Tau. Zudem zeigten die Versuchstiere eine geringere Neuroinflammation und eine verbesserte Myelierungsrate. Bereits bei der niedrigsten getesteten LiO-Konzentration war der Amyloid-Induzierte Abfall der Gedächtnisleistung nahezu vollständig wiederhergestellt. In alten Wildtyp-Mäusen reduzierte LiO die altersbedingte Aktivierung von Mikroglia/Astrozyten und verhinderte den altersbedingten Gedächtnisverlust.  

Bei diesen Versuchen war LiO dem klassischem LiC überlegen – die Forscher vermuten hier eine niedrigere Sequestrierungsrate von Orotat-gebundenem Lithium im Vergleich zu ionischem Lithium wie aus LiC.

Molekularbiologische Analysen spezifischer Zelltypen à Identifizierung von Mechanismen

Analysen bestimmter Gewebe- und Zelltypen der Human- und Tierproben zur Aufdeckung der zugrundeliegenden Mechanismen lieferten neue Erkenntnisse über die zellulären Effekte von Lithium in Nervenzellen. Im Folgenden finden Sie eine Auflistung der identifizierten Mechanismen:

  • Transkriptomik/Proteomik: Lithium Mangel induzierte ein Gen-Expressionsprofil, welches dem von MCI und Alzheimer stark ähnelt. Die Folgen: Down-Regulation synaptischer und myelinassoziierter Gene. Mikroglia (ZNS-ansässige Immunzellen) zeigten unter Lithium-Mangel ein Alzheimer-ähnliches proinflammatorisches Expressionsprofil.

  • Zell-Signaling (Wnt/β-Catenin, GSK3β): Unter Lithium-Mangel wurde eine Repression von Wnt/β-Catenin sowie eine Aktivierung von GSK3β beobachtet. Eine übermäßige Aktivierung der Kinase GSK3β führt zu einer erhöhten Tau-Phosphorylierung, β-Catenin-Abbau sowie Mikroglia-Aktivierung (und damit zu dem erwähnten pro-inflammatorischem Phänotyp). Umgekehrt kann Lithium durch direkte GSK3β-Hemmung diese Prozesse verlangsamen und teilweise umkehren.

  • Aβ-Clearance durch Mikroglia: unter Lithium-Mangel zeigten Mikroglia nicht nur die bereits erwähnte pro-inflammatorische Polarisation, sondern auch eine stark verringerte Tendenz, Aβ-Spezies aufzunehmen und abzubauen. Durch eine Lithium-Gabe oder anderweitige GSK3β-Hemmung, wurde die Aβ-Spezies-abbauende Aktivität der Mikroglia wieder hergestellt.

Gibt es relevante Mechanismen, die in der Studie nicht verfolgt wurden?

Lithium als Insulin-Mimetikum

Der Literatur ist Lithium in zahlreichen Modellen als Insulin-mimetisch beschrieben. So konnte Lithium bspw. in diabetischen Ratten die Insulin-Sensitivität in Muskelzellen wieder herstellen und die Glykogensynthese verbessern. Ähnliche Daten liegen auch aus Versuchen mit chinesischen Hamstern vor [Rossetti et al., 1989; Hu et al., 1997].

Mitunter (aber nicht ausschließlich) wird dafür die bereits erwähnte GSK3β-Hemmung verantwortlich gemacht (GSK3β hemmt den Insulin/PI3K-Akt Signalweg). Warum ist das jetzt relevant für die Alzheimer-Pathogenese?

Bei Alzheimer wird die lokal im ZNS gestörte Insulin-Signalübertragung („brain insulin resistenz“) als einer der Pathogenesefaktoren der Erkrankung angesehen. Durch diese lokale Insulinresistenz, die auch als „Typ-3-Diabetes“ bezeichnet wird, kommt es vereinfacht zu Einschränkungen im cerebralen Energiestoffwechsel, was wiederum nachhaltig negativ für zahlreiche kognitive Funktionen und Reparaturmechanismen ist [Ahmed et al., 2015; Peng et al., 2024].

Wenn Lithium die neuronale Insulinsensitivität wieder herstellen/verbessern kann, stellt dies somit einen weiteren möglichen neuroprotektiven Mechanismus von Lithium dar.

Fazit:

Nummerierte Bulletpoints
  1. Endogenes Lithium im ZNS ist viel relevanter als bisher angenommen: Vor allem im Präfrontalen Cortex (PFC) ist Li bei MCI und AD stark vermindert.
  2. Amyloid-Plaques sequestrieren freies Lithium und reduzieren damit seine Bioverfügbarkeit.
  3. In Maus-Modellen hat sich Lithium-Mangel als pathologisch kausal gezeigt. Eine diätische Li-Reduktion erhöht Bildung/Ablagerung von pathogenen Aβ-Spezies und Phospho-Tau, erhöht Neuroinflammation über vermehrte Aktivierung von Mikroglia, führt zu vermehrtem Verlust von Synapsen sowie geringerer Myelierung und geringerer Amyloid-Clearance durch Mikroglia. In der Konsequenz beschleunigt ein Lithiummangel den kognitiven Verfall.
  4. Lithiummangel führt zu einem zellulären Expressionsprofil, das dem Expressionsprofil bei AD stark ähnelt.
  5. Die Gabe von Lithium (LiO) verlangsamt viele der genannten pathologischen Prozesse oder kehrt sie um.
  6. Primärer zellulärer Mechanismus: GSK3β-Hemmung.
  7. Therapeutische Implikationen: Li (vor allem als Orotat) kann in Mäusen primäre Aspekte der AD-Pathologie verhindern, verlangsamen und teilweise umkehren. Die Beobachtungen wurden in AD-Modellen und Alterungsmodellen (Wildtyp) beobachtet. Da der Zusammenhang zwischen niedriger Lithium-Dosierung auch in menschlichen MCI- und AD-Proben signifikant auffällig war, eröffnet dies rationale Ansätze für die humane Präventionsmedizin.
Lithium als Nahrungsergänzungsmittel

Zum aktuellen Zeitpunkt ist Lithium in der EU nicht als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen. Auf Rezept ihres Arztes oder Heilpraktikers können niedrig dosierte Lithium-Präparate über verschiedene Apotheken bezogen werden. Rufen Sie uns gerne an, wir können Ihnen diesbezüglich weiterhelfen.

Quellen:
Aron L, Ngian ZK, Qiu C, Choi J, Liang M, Drake DM, Hamplova SE, Lacey EK, Roche P, Yuan M, Hazaveh SS, Lee EA, Bennett DA, Yankner BA. Lithium deficiency and the onset of Alzheimer’s disease. Nature. 2025 Aug 6. doi: 10.1038/s41586-025-09335-x. Epub ahead of print. PMID: 40770094. https://doi.org/10.1038/s41586-025-09335-x

Hamstra SI, Roy BD, Tiidus P, MacNeil AJ, Klentrou P, MacPherson REK, Fajardo VA. Beyond its Psychiatric Use: The Benefits of Low-dose Lithium Supplementation. Curr Neuropharmacol. 2023;21(4):891-910. doi: 10.2174/1570159X20666220302151224. PMID: 35236261; PMCID: PMC10227915. https://doi.org/10.2174/1570159×20666220302151224

Luo J, Zheng L, Jin Z, Yang Y, Krakowka WI, Hong E, Lombard M, Ayotte J, Ahsan H, Pinto JM, Aschebrook-Kilfoy B. Cancer Risk and Estimated Lithium Exposure in Drinking Groundwater in the US. JAMA Netw Open. 2025 Feb 3;8(2):e2460854. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.60854. Erratum in: JAMA Netw Open. 2025 May 1;8(5):e2518037. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2025.18037. PMID: 39976965; PMCID: PMC11843356. https://doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2024.60854

Memon A, Rogers I, Fitzsimmons SMDD, Carter B, Strawbridge R, Hidalgo-Mazzei D, Young AH. Association between naturally occurring lithium in drinking water and suicide rates: systematic review and meta-analysis of ecological studies. Br J Psychiatry. 2020 Dec;217(6):667-678. doi: 10.1192/bjp.2020.128. PMID: 32716281. https://doi.org/10.1192/bjp.2020.128

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