L-Tryptophan ist eine der neun essentiellen Aminosäuren, die der menschliche Körper nicht selbst synthetisieren kann. Sie muss daher regelmäßig und in ausreichendem Maße über die Nahrung aufgenommen werden. Mit Ausnahme von Gelatine (Kollagen enthält kein Tryptophan) ist die Aminosäure in zahlreichen proteinreichen Lebensmitteln enthalten, darunter Fleisch, Milchprodukte, Obst und Samen [Friedman et al., 2018].
L-Tryptophan zählt zu den LNAAs (Large Neutral Amino Acids), den sog. großen neutralen Aminosäuren. Zu dieser Gruppe gehören auch die verzweigtkettige Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin. Diese Aminosäure-Gruppe konkurriert um die gleichen Aminosäuretransporter, was für das Verständnis ihrer Pharmakologie zu beachten ist. Als proteinogene Aminosäure dient es als grundlegender Baustein für Proteine und Peptide. Als strukturelle Besonderheit unter den zwanzig proteinogenen Aminosäuren besitzt einzig Tryptophan eine Indolgruppe – eine bizyklische Struktur, die aus einem Benzolring besteht, der an einen Pyrrolring fusioniert ist. Diese charakteristische chemische Struktur verleiht Tryptophan eine hohe Hydrophobizität und Stabilität und macht es zur Aminosäure mit dem größten Kohlenstoffgerüst [Klaessens et al., 2022].
Die primäre und grundlegendste Rolle von Tryptophan ist seine Funktion als Proteinbaustein. Darüber hinaus spielt Tryptophan aber eine wichtige Rolle in zahlreichen weiteren Stoffwechselwegen.
Der Kynurenin-Weg stellt den vorherrschenden Weg des Tryptophan-Katabolismus dar und macht etwa 90-95 % seines Abbaus bei Säugetieren aus. An dessen Ende steht die Bildung von Niacin (Vitamin B3). Tryptophan wird durch die Enzyme Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO) oder Tryptophan-2,3-Dioxygenase (TDO) in N-Formyl-Kynurenin umgewandelt, welches dann zu Kynurenin weiterverarbeitet wird. Kynurenin selbst hat zwei Hauptstoffwechselwege: Kynurenin wird direkt über das Enzym Kynurenin-Aminotransferase (KAT) zu Kynureninsäure umgewandelt, die als Antagonist des neurotoxischen NMDA/Glutamatrezeptors und als Agonist des nikotinischen Acetylcholinrezeptors wirkt. Der andere Weg des Kynurenins führt zur Bildung von 3-Hydroxy-Kynurenin. Schließlich führt die Kynureninase über mehrstufige enzymatische Reaktionen zur Bildung von Chinolinsäure, die letztendlich Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD+) und andere aktive Moleküle produzieren.
Der Kynureninweg ist ein „zweischneidiges Schwert“, da er sowohl nützliche (z.B. neuroprotektive Kynureninsäure) als auch schädliche (z.B. neurotoxische Chinolinsäure) Verbindungen produzieren kann. Das Gleichgewicht zwischen diesen Metaboliten ist entscheidend. Die Enzyme IDO und TDO spielen eine zentrale Rolle bei der Verbindung des Kynureninwegs mit Entzündungsprozessen und Stressreaktionen. IDO wird durch proentzündliche Zytokine aktiviert, am stärksten durch IFN-γ, IL1 und TNFα. Die Aktivität der TDO wird durch Cortisol gesteigert. Das Kynurenin-zu-Tryptophan-Verhältnis dient als wichtiger Indikator für die IDO-Aktivität und spiegelt die endogene Anpassung des Körpers an Stress und Entzündungen wider.
Ein vergleichsweise kleinerer Anteil von Tryptophan fließt in die Synthese von Serotonin und anschließend Melatonin. Der erste und geschwindigkeitsbestimmende Schritt in der Serotonin-Biosynthese beinhaltet das Enzym Tryptophan-Hydroxylase (TPH). TPH fügt Tryptophan eine Hydroxylgruppe hinzu und wandelt es in 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) um. Die Aktivität von TPH ist direkt von der Verfügbarkeit von Tryptophan abhängig und erfordert unter anderem Tetrahydrobiopterin als essentielle Kofaktoren. Die TPH liegt in zwei verschiedenen Formen vor: TpH1, die hauptsächlich im Darm vorkommt, und TpH2, die nahezu ausschließlich in Nervenzellen exprimiert wird [Richard et al., 2009]. Die TpH unterliegt einer Rückkopplungshemmung durch Serotonin. Anschließend wird 5-HTP schnell durch das Enzym Aromatische Aminosäure-Decarboxylase (AAAD) zu 5-HT (Serotonin) decarboxyliert. Es wird geschätzt, dass ein signifikanter Großteil, etwa 95 %, des Serotonins im Körper im Gastrointestinaltrakt lokalisiert ist. Darüber hinaus wird nur ein kleiner Teil des Tryptophans, etwa 3 % insgesamt, für die Serotonin-Synthese im gesamten Körper verwendet, wobei ein noch geringerer Anteil, etwa 1 %, speziell für die Serotonin-Synthese im Gehirn bestimmt ist.
Melatonin wird aus Serotonin durch das Enzym N-Acetyltransferase gebildet, wobei S-Adenosylmethionin (SAMe) als Kofaktor dient. Die Aktivität der Acetyltransferase wird durch das Dunkelheitssignal der Netzhaut reguliert.
[Lu et al., 2025; Richard et al., 2009; Schurgast, 2023]
Der Katabolismus von L-Tryptophan durch die Darmmikrobiota erweist sich als ein Schlüsselmodulator der Darmfunktion und der gesamten Darmgesundheit. Ein signifikanter Anteil, geschätzt über 80 % des gesamten Serotonins des Körpers, wird im Darm von spezialisierten enterochromaffinen Zellen produziert, ein Prozess, der maßgeblich von der Aktivität und Zusammensetzung der Darmmikrobiota beeinflusst wird. Spezifische Bakterien innerhalb der Darmmikrobiota besitzen die enzymatischen Voraussetzungen, um Tryptophan in verschiedene Indol-Derivate umzuwandeln. Diese Derivate umfassen Indolpropionsäure und Indolacetaldehyd, das weiter zu Indolessigsäure (IAA) und Indolaldehyd (IAld) metabolisiert werden kann. Darüber hinaus können Mikroben Tryptophan über alternative Stoffwechselwege nutzen, was zur Bildung anderer Metaboliten wie Tryptamin führt. Diese Indol-Derivate spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Integrität der Darmbarriere und der Förderung der Homöostase der Immunzellen. Dies wird hauptsächlich durch ihre Fähigkeit erreicht, den Arylhydrocarbon-Rezeptor (AhR) zu aktivieren, einen Liganden-aktivierten Transkriptionsfaktor, der auf Immunzellen und Epithelzellen im Darm vorhanden ist. Die Aktivierung des AhR durch Indol-Metaboliten fördert die Produktion von Interleukin-22 (IL-22). IL-22 ist ein Zytokin, das für seine entzündungshemmenden Wirkungen und seine schützende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Schleimhautintegrität von entscheidender Bedeutung ist. Es kontrolliert die Epithelzellproliferation und die Stimulierung der Produktion antimikrobieller Peptide (AMPs), die dazu beitragen, Entzündungen durch kommensale Bakterien zu begrenzen. Indole können auch zur Schleimhauthomöostase beitragen, indem sie die Mucinproduktion stimulieren und die Epithelbarrierefunktion durch die Induktion von Tight-Junction-Proteinen verbessern.
[Lu et al., 2025; Taleb, 2019]
Wie bereits erwähnt, gehört L-Tryptophan neben weiteren Aminosäuren zu den großen neutralen Aminosäuren, die auf aktiven Transport über die Carrier angewiesen sind. Die Verfügbarkeit von Tryptophan aus der Nahrung und seine Blutkonzentration haben unmittelbaren Einfluss auf die Konzentrationen im Gehirn. Proteinreiche Nahrung erhöht zwar das Angebot an Tryptophan – gleichzeitig konkurrieren allerdings die anderen Aminosäuren am gemeinsamen Transporter mit Tryptophan, wodurch die Aufnahme über die Blut-Hirn-Schranke gebremst wird. Durch einen hohen Kohlenhydratanteil in der Ernährung wird die Aufnahme von Tryptophan verbessert – denn durch die Insulinausschüttung werden die anderen Aminosäuren aus dem Blut in die Muskulatur aufgenommen und stehen nicht mehr in Konkurrenz an der Blut-Hirn-Schranke. Tryptophan dagegen wird in der Muskulatur in hohem Umfang nicht benötigt und kann so leichter ins Gehirn gelangen. Bei einer Supplementation mit L-Tryptophan empfiehlt es sich deshalb auch, einen zeitlichen Abstand zu einer proteinreichen Mahlzeit einzuhalten [Fernstrom, 1977].
Auch sportliche Betätigung kann helfen, die L-Tryptophan-Aufnahme zu erleichtern. Es wurde beobachtet, dass unter einer intensiven Ausdauerbelastung, wie sie beispielsweise beim Sport vorkommt, vermehrt verzweigtkettige Aminosäuren unter dem Einfluss von Insulin in Muskelzellen aufgenommen werden. Dadurch wird das Aminosäure-Verhältnis im Blut zugunsten von L-Tryptophan verschoben. Auch ein kurzes, intensives Krafttraining fördert einen vermehrten Aminosäure-Abtransport in die Muskulatur.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass L-Tryptophan eine essentielle Aminosäure mit zentraler Bedeutung für den Proteinaufbau sowie für verschiedene Stoffwechselwege ist, insbesondere den Kynurenin- und den Serotonin-Melatonin-Stoffwechsel. Der Kynureninweg dominiert den Tryptophanabbau und ist eng mit Immun- und Stressreaktionen verknüpft, während mikrobielle Metaboliten aus Tryptophan über den Arylhydrocarbon-Rezeptor wesentlich zur Darm- und Immunhomöostase beitragen. Die Verfügbarkeit von Tryptophan im Gehirn wird durch Ernährung und körperliche Aktivität moduliert, was insbesondere für seine neuroaktive Wirkung von Relevanz ist.
Fernstrom JD. Effects on the diet on brain neurotransmitters. Metabolism. 1977 Feb;26(2):207-23. doi: 10.1016/0026-0495(77)90057-9. PMID: 13261. https://www.metabolismjournal.com/article/0026-0495(77)90057-9/abstract
Friedman M. Analysis, Nutrition, and Health Benefits of Tryptophan. Int J Tryptophan Res. 2018 Sep 26;11:1178646918802282. doi: 10.1177/1178646918802282. PMID: 30275700; PMCID: PMC6158605. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6158605/
Klaessens S, Stroobant V, De Plaen E, Van den Eynde BJ. Systemic tryptophan homeostasis. Front Mol Biosci. 2022 Sep 14;9:897929. doi: 10.3389/fmolb.2022.897929. PMID: 36188218; PMCID: PMC9515494. https://www.frontiersin.org/journals/molecular-biosciences/articles/10.3389/fmolb.2022.897929/full
Lu Z, Zhang C, Zhang J, Su W, Wang G, Wang Z. The Kynurenine Pathway and Indole Pathway in Tryptophan Metabolism Influence Tumor Progression. Cancer Med. 2025 Mar;14(6):e70703. doi: 10.1002/cam4.70703. PMID: 40103267; PMCID: PMC11919716. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11919716/
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Taleb S. Tryptophan Dietary Impacts Gut Barrier and Metabolic Diseases. Front Immunol. 2019 Sep 10;10:2113. doi: 10.3389/fimmu.2019.02113. PMID: 31552046; PMCID: PMC6746884. https://www.frontiersin.org/journals/immunology/articles/10.3389/fimmu.2019.02113/full
Schurgast H, Zimmermann M. Burgerstein Handbuch Nährstoffe. Stuttgart: Trias Verlag; 2023. ISBN 978-3-432-11588-7.
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